Der Text der Bibel
Das Alte Testament wurde ursprünglich in hebräischer (und zum Teil in aramäischer) Sprache niedergeschrieben. Die Sprache des Neuen Testaments ist Griechisch. Von den ursprünglichen Manuskripten ist keines erhalten geblieben. Wir besitzen z.B. weder das Original der Worte des Propheten Jeremia noch das Original vom Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom. Es gibt jedoch Abschriften der Originale, die in unterschiedlicher Anzahl vorliegen und unterschiedlich alt sind. Denn bis zur Erfindung des Buchdrucks gab es nur eine einzige Möglichkeit, Bücher zu vervielfältigen: Man musste sie mit der Hand abschreiben.
Um die Jahre 1930/31 tauchten im Antikenhandel von Kairo mehrere Papyrusbücher auf, die grosse Teile des Alten und Neuen Testaments enthielten. Es waren keine vollständigen Handschriften, aber ganze Lagen einer "Papyrus-Bibel", mit Teilen der Evangelien und der Apostelgeschichte sowie der Paulusbriefe und der Offenbarung.
Die ägyptischen Händler verlangten solch hohe Preise, dass für Museen und Institutionen der Ankauf unmöglich war. Schliesslich kaufte der damals in London lebende amerikanische Millionär Sir Chester Beatty diese aussergewöhnlichen Handschriften auf.
Hölen von Qumran
Foto: Alexander Schick ©
www.bibelausstellung.de
Die Papyrusbücher stammen aus dem zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. und werden heute als die "Chester Beatty-Papyri" bezeichnet. Beduinen hatten die Handschriften etwa 100 Kilometer südlich von Kairo in einen Tonkrug unweit eines alten Klosters gefunden. Die Bücher sind wohl einmal aus der Klosterbibliothek ausgeschlossen worden, aber aus Scheu vor der Heiligkeit der Bücher nicht verbrannt, sondern - wie in der Bibel gefordert - in einen Krug gesteckt und vergraben worden (vergleiche Jeremia 32,14).
Die ältesten und wohl bekanntesten Funde von alttestamentlichen Handschriften wurden 1947 in den Höhlen von Qumran am Toten Meer gemacht. Dort waren die Schriften vor zweitausend Jahren zum Teil in Tonkrügen verborgen worden. Allerdings ist es selten, dass ganze Handschriften entdeckt werden. Häufig sind es nur grössere oder kleinere Teile und manchmal ist ein Fundstück kaum grösser als eine Briefmarke.
Jeder Fund einer biblischen Handschrift, mag er noch so klein sein, ist jedoch bedeutsam und hilft, dem ursprünglichen Wortlaut der biblischen Texte näher zu kommen. Fachleute konnten auf diese Weise einen Grundtext von grosser Genauigkeit erschliessen. Durch mehrere tausend Handschriftenfunde ist der biblische Text gut abgesichert.
Diese Funde sind von besonderer Bedeutung, denn vom Neuen Testament waren bis zu dieser Entdeckung nur zwei Handschriften aus dem 4. Jahrhundert bekannt; und zwar der so genannte "Codex Vaticanus" von 325 n. Chr., der im Neuen Testament aber unvollständig ist und der berühmte "Codex Sinaiticus" von 350 n. Chr., der sich als die älteste komplette Handschrift des Neuen Testaments entpuppte. Aufgrund des hohen Alters wurde dieser Codex zu einem der wichtigsten Textzeugen für das Neue Testament.
Durch die Entdeckung der Chester-Beatty-Papyri konnte der neutestamentliche Text aber nochmals um weitere 150 bis 200 Jahre zurückverfolgt werden. Der Abstand zwischen den Handschriften und den Originalen wurde so immer geringer. Die Möglichkeit, dass die Texte verfälscht worden waren - wie es weniger sachkundige Kritiker gerne behaupten - geriet immer unwahrscheinlicher. Man stellte im Gegenteil fest, dass auch diese Handschriften die gute Überlieferung des Neuen Testaments belegen.
Kleines Fragment - grosse Wirkung
Unter den Bibelwissenschaftlern war die Erregung über die Chester Beatty-Papyri noch nicht abgeklungen, da platzte eine weitere archäologische Bombe. Bereits 1920 hatte der englische Papyrusforscher Grenfell ein nicht mal handgrosses Bruchstück einer Papyrushandschrift in Ägypten erworben und mit nach England gebracht. Da Grenfell Hunderte ähnlicher Papyrusfragmente zu bearbeiten hatte, war ihm der unscheinbare Teil gar nicht aufgefallen. Er starb über seinen Arbeiten 1926. Erst sein Nachfolger C.H. Roberts untersuchte 1934 diesen 6 mal 9 cm grossen Papyrus, der auf beiden Seiten beschrieben ist. Das Fragment stammt also nicht von einer einseitig beschriebenen Schriftrolle, sondern aus einem "Papyrus-Buch" - aus einem Codex.
Als Roberts den Text identifizierte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Der Fetzen stammte aus dem Johannes-Evangelium. Auf der Vorderseite stehen Bruchstücke von Kapitel 18 Vers 31-33 und auf der Rückseite von Vers 37-38 (das Verhör Jesu vor Pilatus). Die griechische Schrift datierte Roberts auf 100-125 n. Chr. Plötzlich hatte er den ältesten Beleg für das Neue Testament in seinen Händen. Als man den Text dieses Papyrus (heute als P52 bezeichnet) untersuchte, stellte man fest, "dass er mit dem aus dem Mittelalter überlieferten Text genau übereinstimmt".
Dieser kleine Fetzen hat für die Forschung eine besondere Bedeutung. So sagte der Handschriftenforscher Professor Martin M. Metzger: "Obwohl der Umfang der Verse so gering ist, besitzt dieser winzige Fetzen in einer Hinsicht ebensoviel Beweiskraft wie sie ein ganzer Codex (eine ganze Handschrift) haben könnte. Genau so wie Robinson Crusoe aus dem Anblick eines einzigen Fussabdruckes schliessen konnte, dass ausser ihm noch ein zweites menschliches Wesen mit zwei Füssen auf der Insel war, so beweist P52 das Vorhandensein und den Gebrauch des vierten Evangeliums in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts in einer Provinzstadt am Nil, weit weg von seinem überlieferten Entstehungsort (Ephesus in Kleinasien). Wäre dieses Fragment in der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt gewesen, dann hätte man ... nicht behaupten können, das vierte Evangelium sei nicht vor etwa 160 entstanden".
Obwohl das Fragment nur wenige Worte und Wortfetzen enthält, können Wissenschaftler die Länge des Textes sehr genau rekonstruieren.
Als man den Text dieses Papyrus untersuchte, stellte man fest, "dass er mit dem aus dem Mittelalter überlieferten Text genau übereinstimmt". Nach altkirchlicher Überlieferung wurde das Johannesevangelium um 95 n. Chr. veröffentlicht. Das Papyrusfragment belegt eine Abschrift des Johannesevangeliums für den Zeitraum von 100-120 n. Chr. Wenn man den frühesten Zeitpunkt für die Handschrift annimmt, haben wir es hier mit einer der allerersten Abschriften des Johannes-Evangeliums zu tun haben. Gerade mal fünf Jahre ist die Abschrift von dem Original entfernt. Das heisst, wir haben es hier wahrscheinlich sogar mit der ersten Abschrift überhaupt zu tun! Eine absolute Sensation! :-)
Textpassagen übernommen mit freundlicher Genehmigung von Alexander Schick © www.bibelausstellung.de